Die Kunst des Innehaltens
Viele Wege führen in die Auszeit. Wir müssen nur den für uns richtigen finden.
Und was der Sport damit zu tun hat
Die Kraft eines besonderen Ortes oder Momentes einzufangen, kann schon eine Auszeit darstellen. Aber was bedeutet Auszeit eigentlich genau? Aus dem eigenen Alltag herauszutreten. Aus diesem aufregenden Hamsterrad, das sich manchmal genau richtig, oft aber zu schnell dreht. Für viele bedeutet Auszeit vor allem sich bewusst auf etwas anderes zu konzentrieren. Sich selbst und seine Gedanken zu sammeln und für einen Moment anzuhalten. Distanz zu sich selbst und dem, was man tagtäglich tut, aufzubauen. Ein wichtiges Auszeit-Medium ist dabei Wasser: Eintauchen, abtauchen, weg sein.
Schon das Wörterbuch beschreibt eine Auszeit auf verschiedene Arten. Da wäre zun chst die Definition, wonach sie im sportlichen Sinne ein Spiel unterbricht. Einen Ablauf, eine Handlung, ein Ereignis. Darüber hinaus wird in Psychologie und P dagogik ebenfalls von Auszeit gesprochen, wenn es um die Time-out-Technik geht. Diese Methode basiert darauf, einen Fluss von Reizen bewusst und radikal zu unterbrechen. Diese Form der Auszeit soll zum Beispiel Kindern, die im sozialen Umfeld aggressiv sind, die Chance geben, wieder zu sich zu kommen. Im Rahmen von Entspannungs- und Achtsamkeitstrainings soll die Auszeit unseren inneren Autopiloten stoppen – also automatisierte Denk- und Verhaltensmuster aufbrechen, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was uns gut tut und was nicht. Und damit die Chance eröffnen, entsprechend zu handeln. Ein weiteres bekanntes Auszeitmodell ist das sogenannte Sabbatical, also das Sabbatjahr. Es beschreibt eine längerfristige berufliche Auszeit, für die es viele Beweggründe geben kann. Doch egal ob kurze oder lange Auszeit: Immer geht es darum, ganz bewusst innezuhalten und zu reflektieren. Sich selbst, die eigenen Lebensumstände und den Moment besser wahrzunehmen.
Die natürlichste Auszeit aller möglichen Auszeiten kennt jeder von uns: den Schlaf
Er ist sozusagen das planmäßige Entspannungs- und Erneuerungsprogramm unseres Körpers. Wachstumshormone werden gebildet, damit die Zellerneuerung angeregt wird. Organe regenerieren sich. Im Hintergrund werden Energien aufgebaut, die uns vital und ausgeschlafen durch den neuen Tag bringen. Wer sich diese Auszeit nicht gönnt – also längerfristig unter Schlafstörungen leidet, läuft Gefahr, ernsthaft Schaden zu nehmen. Ähnlich starke Vitalisierungs-Funktionen, allerdings im Wachzustand, kommen uns durch gezielte und regelmäßige Meditation zugute. Diese Form der Selbstversunkenheit als bewusste Auszeit bewegt sich entlang der Trennlinien zwischen Wachheit und Schlaf. Diesen Zustand können geübte Menschen jederzeit herbeiführen, selbst wenn es um sie herum laut und hektisch ist.
Woher der Impuls für eine kurze Auszeit kommt, ist eigentlich egal: Ob nun der Körper signalisiert, dass er eine kleine Pause braucht. Oder der Geist innehalten will, weil der Input manchmal einfach zu viel wird: Auszeit heißt, auf sich und seine Bedürfnisse zu hören. Entspannen, zur Ruhe kommen, ins Gleichgewicht zurückfinden: Ein bisschen Auszeit bedarf gar keiner großen Kraftanstrengung. Es genügt schon, die richtige Atmosphäre zu schaffen, in der ein unruhiger Geist wieder geerdet wird. Ein gutes Mittel dafür ist es, eine
Umgebung zu kreieren, die klar gestaltet ist und aus sich heraus Ruhe ausstrahlt. Dazu dient geradliniges Mobiliar ohne Schnickschnack am besten. Positiven Einfluss aufs Gemüt können auch Licht und Farbe nehmen. Sanfte Naturt ne und blendfreie Beleuchtung tragen
entscheidend dazu bei, dass wir immer wieder bei uns selbst ankommen. Egal wie anstrengend oder unübersichtlich unser Tag auch war.
"Auszeit" – hier spricht der Sport
Woher kommt’s?
Time-out! Der Trainer fordert mitten im Spiel diese Unterbrechung. Basketball, Hockey, Football und andere Sportarten kennen ein Zeichen dafür: Mit Armen oder Händen formt der Trainer ein „T“. Dann hält man die Uhr an, alle scharen sich um den Trainer. Der nutzt die Pause meist, um dem Team wichtige Infos zu geben: wie ein verletztes Teammitglied ersetzt, die eigene Taktik angepasst, eine Strategie des Gegners ausgehebelt werden soll. Danach soll’s erfolgreicher weitergehen. Der Begriff Auszeit wurde anderswo übernommen: Psycholog:innen und Pädagog:innen nutzen die Time-Out-Technik, im Job bezeichnet man Freistellungen und Sabbaticals so.
Was macht’s aus?
Die Auszeit im Basketball hat etwas Mystisches. Kein Wunder, dass man sie in so vielen Lebensbereichen kopiert. Was da wohl gesprochen und geraunt wird in diesem engen Kreis der Schwitzenden? Welche genialen Erkenntnisse der Experten:innen, welche Geheimbotschaften, welche Weichenstellungen, welches Insider-Wissen? Wer nicht selbst im Kreis steht und zuhört, wird ewig darüber rätseln. Natürlich gibt es Gerüchte. Und Ahnungen: Unter Sportler:innen ist es kein Geheimnis, dass Auszeiten im Wettkampf längst nicht immer so konstruktiv sind wie das, was die Wellness-Welt aus dem Wort gemacht hat. Schließlich geht es im Sport darum, zu gewinnen, Gegner:innen zu besiegen. Alles, was die anderen stört, ist jetzt gut. Hauptsache, die Gegner:innen kommen aus dem Tritt.
So oder so: Die Auszeit ist ein wirkungsvolles Instrument. Weil man eine Zäsur setzt – ganz aktiv. Den Fluss der Zeit stoppt. Bewusst entscheidet, dass es nicht weitergehen soll wie zuvor. Und wie macht man das beste draus? Basketballtrainer Tolga Öngören, in der türkischen und der deutschen Bundesliga erfolgreich, verfolgte seinen eigenen Ansatz. Wenn die Spieler vom Spielfeld kamen, hat er sie oft ignoriert und mit seinem Co-Trainer geredet. Das hat das Publikum irritiert: Wie, keine Druckbetankung? Nein, genau das
nicht. Und das war Absicht. Denn Spieler sind in diesem Moment am Limit, kommen aus einer Art Tunnel. Sie können vielleicht gar nichts Komplexes erfassen. Man hat oft gesehen, dass Öngören ihnen einige Augenblicke Zeit gelassen hat. Auch in den schnellen Ansagen,
die dann noch kamen, ging es oft nicht um den Stein der Weisen. Denn die wichtigsten Dinge, die Basics, lernen Basketballer schon früh und verinnerlichen sie auch. Vergessen aber im Eifer des Gefechts mal das eine oder andere. Es kann reichen, wenn der Trainer an diese Basics erinnert. Ein sanfter Stups, quasi. Denn eigentlich wei man es ja längst.